Klaus-Ingbert Wagner

von Klaus-Ingbert Wagner

1. Anne

Wie viele Tools, die ich heute einsetze, war auch dieses eine spontane Idee in der praktischen Arbeit. Ich fand es deshalb passend, dieses Aufstellungsformat in Form eines Falles vorzustellen, da hier die Vorgehensweise aus meiner Sicht sehr eindrücklich beschrieben wird.

Anne (Name und auch Zusammenhänge verändert) kam ursprünglich zu mir, um die Probleme mit ihrem Mann zu besprechen, denn sie hatte das Gefühl, keinen Ausweg mehr zu sehen. Sie fühlte sich permanent überlastet und hatte den Eindruck, dass alles so schwer wäre und spürte keine Nähe zu ihrem Partner. Grundsätzlich also kein ungewöhnlicher Fall und es folgte ein längeres Gespräch, in dem ich sehr genau nachfragte, wie die Problematik zusammenhing und wer was wann tat und fühlte. Es zeigte sich, dass natürlich wie so oft das Problem nicht nur mit ihrem Mann alleine zusammenhing, sondern das gesamte aktuelle Lebenssystem involviert war. Wir erarbeiteten also erst einmal alle Bereiche, die für ihre Lebenssituation wichtig waren und kamen auf:

Ich habe in der Praxis etwa zehn, einen Meter lange Buchenstäbe, die ich für alles Mögliche verwende. In dem Fall gab ich Anne das Bündel mit der Aufgabe, die Bereiche am Boden mit den Stäben abzugrenzen. Wie groß die verschiedenen Bereiche wären, bliebe ihr überlassen. Sie legte die Stäbe folgendermaßen aus:

Abb. 1

Um Kontakt mit ihrem Leben herzustellen, durfte sie sich in jeden Bereich hineinstellen und sich einspüren. Sie nahm die Unterschiede deutlich war.

Anne merkte dabei selber, dass die Bereiche sehr unterschiedlich gewichtet waren und die Kinder ganz viel Energie bekamen. Da die anderen Räume natürlich auch ihren Tribut forderten, war es nur logisch, dass sie insgesamt alles als so schwer empfand. Um dieser Schwere einen Ausdruck zu geben, wollte ich sie dieses Gewicht auch körperlich spüren lassen. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen und blieb an unseren Farbflaschen hängen. Da meine Frau Ausdrucksmalen und Kunsttherapie praktiziert, sind wir natürlich recht gut mit allen Farbutensilien ausgestattet. Deshalb war unser großer Rollwagen gut mit Farbflaschen bestückt. Jede Flasche fasst einen Liter und hatte somit ein gutes Gewicht für meine Idee.

So suchte ich willkürlich 20 Flaschen unterschiedlicher Farben aus und erklärte ihr, dass diese Flaschen ihre Lebensenergie darstellen würden und sie diese jetzt auf ihre Lebensbereiche verteilen müsste. Und zwar sollte sie es so aufteilen, wie es derzeit sei. Dieser Prozess dauerte ca. 15 min und ich unterstützte sie dabei, sich Zeit zu lassen, um die Realität gut abzubilden. Das Schlussbild ihrer Realität sah dann so aus:

Abb. 2

Diese Verteilung deckte sich auch mit den Gefühlen, die Anne vorher in dem jeweiligen Feld empfunden hatte. So nahm sie in ihrem Feld und im Feld der Beziehung eine gewisse Leere und Sinnlosigkeit war. Während sie sich im Kinderfeld schwer und überfordert fühlte. Anne wurde endgültig klar, wie ungleich ihre Lebensenergie verteilt war und dass ihr Beruf und ihre Kinder dabei zu viel Raum einnahmen. So blieb nicht mehr viel für sie und ihre Beziehung übrig. Interessanterweise hatten wir den Kinderbereich zwar definiert, aber im Gespräch kam das Gewicht dieses Feldes auch nicht ansatzweise so zu Vorschein, wie es sich nun zeigte.

Jetzt schlug ich vor, die Flaschen zu verstellen. Es war mir aber wichtig, sie darauf einzustimmen, dass dies nicht nur rational, sondern auch emotional stattfinden sollte. Ihr war zwar durch die bisherige Arbeit klar, dass der Kinderbereich zu viel Energie bekam, aber die Flaschen dann ganz real von ihren Kindern wegzunehmen, war dann doch noch einmal eine neue Stufe. Deshalb begann sie zuerst mit dem Arbeitsbereich. Sie konnte sich nämlich vorstellen, ihre derzeitige Tätigkeit zu reduzieren, da ihr Mann gut verdiente. Aber dennoch kam sie nicht um den Kinderbereich herum. Diese Flaschen schienen ihr sogar besonders schwer. Es entspann sich während der Arbeit ein Gespräch über ihr Mutterbild und wie es ihr mit ihren Kindern gerade ging. Ich unterstützte sie dabei, ihre teilweise klischeehaften Vorstellungen von der Mutterrolle etwas loszulassen und so konnte sie die Flaschen schließlich doch verstellen. Am Ende stand eine Verteilung, für die sich Anne ganz bewusst entschieden hatte.

Abb. 3

Anne fühlte sich nach der Veränderung deutlich leichter und so bat ich sie noch einmal sich in jeden Bereich hineinzustellen. Das Bild wurde von ihren Körperempfindungen bestätig. Ihr war es sehr wichtig, dass in ihrem Bereich nun deutlich mehr Flaschen standen. Das löste bei ihr eine starkes Freiheitsgefühl aus. Sie gestand sich zu, dass hier nun genauso viele Flaschen standen, wie bei ihren Kindern und auch die Beziehung nun mehr Raum bekam. Ich schlug nun vor, ob sie eventuell auch die Stäbe umgruppieren wollte. Das fand sie eine gute Idee und so sah ihr Bild danach aus:

Beim Verändern kam Anne auf die Idee, nicht nur die Größe der „Kuchenstücke“ zu verändern, sondern auch eine Öffnung zwischen sich, ihren Kindern und der Beziehung, also ihrem Mann zu schaffen. Es fühlte sich gut an, wenn alles nicht so abgegrenzt wäre, sondern eine Verbindung bestehen würde. So konnte sie auch noch mal eine Flasche von ihren Kindern wegnehmen und auf das Beziehungsfeld stellen. Die beiden Flaschen, die nun sowohl von ihrer Seite, wie auch von der Seite ihres Mannes nahe der Mitte stehen, symbolisierten eine neue Nähe, die sie jetzt fühlte. In ihrer Vorstellung konnte durch die Öffnung jederzeit auch mal eine Flasche zwischen den Bereichen getauscht werden – je nach Bedarf.

Ich ließ Anne noch eine kleine Weile auf das Bild am Boden schauen, damit sie es in sich aufnehmen konnte. In der Nachbesprechung kamen Anne dann viele Ideen, wie sie dieses neue Bild auch umsetzen konnte und so beendeten wir die Sitzung mit einem guten Ergebnis.

2. Grundsätzliche Erläuterungen

Das Format ist sehr gut geeignet, wenn es um einen Gesamtüberblick des Systems geht, bzw. sich im Gespräch herausstellt, dass das Gesamtsystem betroffen ist. Ich habe es aber auch schon auf kleine Bereiche des Lebens, bzw. nur in einem Problembereich eingesetzt. Wichtig ist nur, dass sich dieser Bereich wieder in verschiedene Räume gliedern lässt. Mir ist da z. B. eine Organisationsberatung in Erinnerung, wo wir verschiedene Felder im beruflichen Umfeld fanden.

2.1 Was brauche ich

Zwei Utensilien benötige ich. Erstens brauche ich Etwas, mit dem sich Abtrennungen am Boden herstellen lassen. Dies können, wie bei mir Holzstäbe sein. Sie sollten mindestens jeweils einen Meter lang sein und mindestens zehn Stück davon sollten vorhanden sein, damit ich Abteilungen verlängern und krümmen kann. Es könnten aber auch dicke Schnüre sein. Deren Vorteil liegt darin, dass ich sie krümmen, wellen und einkürzen kann. Ich bin also deutlich flexibler, als mit den Stäben.

Das zweite Utensil sind die Gewichte (in meinem Fall die Farbflaschen). Dabei ist es aus meiner Sicht wichtig, dass der Klient ein deutliches Gewicht spürt, wenn er sie verstellt. Dies stellt neben dem rationalen und emotionalen auch einen physischen Effekt her, den der Klient direkt körperlich wahrnehmen kann. Hier kann im Prinzip alles genommen werden, was nicht die Größe der Felder sprengt. Eine ganz einfache Variante ist es, einfach einen großen Wasserkasten mit mindestens ein Liter Flaschen zu kaufen. Dann habe ich sofort 20 Flaschen zu einem kleinen Preis zur Hand. Eine zusätzliche Variante ist es, die Flaschen noch mit unterschiedlich farbigen Wasser (Lebensmittelfarbe oder Wasserfarben, konserviert mit Zucker und Sorbinsäure) zu füllen. Durch die farbigen Unterschiede können sich zusätzlich positive Effekte und Einordnungen ergeben. Ein Klient wollte sich zum Beispiel nicht von der gelben Flasche trennen und trug sie während der Arbeit als Zeichen für seine Zuversicht ständig bei sich. Es ist übrigens sinnvoll eine durch vier teilbare Anzahl Gewichte parat zu haben, da sich erfahrungsgemäß meist vier Felder bilden.

3. Ablauf

3.1 Vorgespräch

Im Vorgespräch ist es notwendig, die verschiedenen Bereiche gut herauszuarbeiten, damit der Klient sie gut unterscheiden kann. Meist läuft es auf diese vier Grundbereiche hinaus: Der Klient selber, Kinder, Beziehung, Arbeit. Dann kommt noch oft ein Bereich hinzu, der die persönlichen Lebensumstände kennzeichnet, wie in Annes Fall ihre Ausbildung.

3.2 Auslegen der Bereiche – Ist-Zustand.

Danach bittet man den Klienten die Bereiche mit den Stäben zu markieren, wie sie sich aus seiner Sicht derzeit darstellen. Es besteht schon hier die Möglichkeit die Kuchenstücke unterschiedlich groß zu gestalten. Aber man kann den Klienten auch darauf hinweisen, dass grundsätzlich jede Variante einer Abtrennung möglich ist. Um dies zu veranschaulichen habe ich zwei Beispiele aus der Praxis abgebildet. Im ersten Beispiel hatte der Bereich 3 nur mit 1 und 2 zu tun, war aber deutlich unterschieden von ihnen. Im zweiten Beispiel wollte der Klient seinen inneren Raum darstellen, in dem sich Visionen von ihm befanden, die in seinem derzeitigen Leben keinen Platz hatten, die aber dennoch sehr wichtig für ihn waren.

Abb. 5

3.3 Erstes Einspüren in die Felder – Ist-Zustand

Der Klient stellt sich in jedes Feld. Hier bekommt er über die Stellvertreterreaktion genauere Informationen über das Feld und er kann die darauffolgende Verteilung der Gewichte besser umsetzen. In dieser Phase sind schon Veränderungen an den Feldern möglich, um die Realität noch genauer abzubilden.

3.4 Verteilung der Gewichte – Ist-Zustand

Danach folgt die Verteilung der Gewichte, wie es aus der Sicht des Klienten derzeit ist. Für den Therapeuten ist es hier wichtig, mit dem Klienten immer wieder zu überprüfen, ob seine Einordnung stimmt. Dies beinhaltet auch genaues Hinterfragen und vielleicht den Abgleich mit den Informationen aus dem Vorgespräch. Es sollte vermieden werden, dass sich nicht die Wunschvorstellungen des Klienten abbilden, sondern die (natürlich dennoch subjektive) Realität. Dass der Klient in die Falle tappt eine Scheinwelt aufzubauen, wird aber durch die vorherige Phase des ersten Einspürens meist schon vermieden. Eine wichtige Erkenntnis für viele Ratsuchende ist es, deutlich vor Augen zu haben, dass Lebensenergie begrenzt ist und man sie nicht unbegrenzt verteilen kann. Dies ist vor allem für Burnout gefährdete Patienten ein wichtiger Moment.

3.5 Veränderung der Gewichte

Nach der „Realitätsrunde“ kann man den Klienten fragen, welche Einsichten er bis jetzt hat und was aus seiner Sicht verändert werden müsste. Auch kann der Therapeut seine eigene Wahrnehmung als Hinweis beisteuern. So erarbeitet man mit dem Klienten eine grobe Richtung der Veränderung und bittet ihn dann, die Gewichte zu verstellen. Dabei offenbaren sich normalerweise Widerstände, denn jetzt kommt man oft an die eigentlichen Themen heran. Hier bedarf es in der Regel der Unterstützung des Therapeuten und es können sich kurze Gesprächseinheiten einknüpfen, die den Widerstand zum Inhalt haben. Schließlich sollte der Klient alle Gewichte nach seinen Wünschen verstellt haben.

3.6. Einspüren in die Felder – nach der Veränderung

Jetzt stellt sich der Klient wieder in jedes Feld und nimmt die Veränderung durch die Stellvertreterreaktion in sich auf. Oft kommt es hier zu weiteren spontanen Veränderungen, denn durch die innere Öffnung, die schon jetzt passiert ist, können viele Klienten noch einen Schritt weitergehen. Es sind Veränderungen an den Gewichten, wie auch an den Feldern möglich. Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass der Klient wieder einen „Rückzieher“ macht und Gewichte wieder an den alten Platz zurückstellt. Dann sollte genau mit dem Klienten erörtert werden, was in seinem Gefühl vielleicht doch möglich ist, und wo seine Grenzen der Veränderung sind.

3.7 Bild in sich aufnehmen

Als letzte Aktion lasse ich den Klienten gerne noch einmal vor dem Bild stehen und die Gesamtheit in sich aufnehmen. Dafür gebe ich ihm so viel Zeit, wie er dafür benötigt.

3.8 Nachgespräch

Grundsätzlich gibt es hier zwei Möglichkeiten. Die eine ist, dass man erst einmal den Prozess an sich wirken lässt. Dann geht es hier nur darum, die Gefühle noch einmal kurz zusammenzufassen.

Aber meist kommen dem Klienten schon während der Arbeit viele Ideen, wie er die Veränderung auch real umsetzen könnte. Dann kann man im Nachgespräch gut anknüpfen und reale Umsetzungsmöglichkeiten erarbeiten, die man dann in einem weiteren Termin weiter besprechen könnte.

Fazit

Die guten Rückmeldungen bestätigen mich, dass dieses Format sehr effizient, kreativ und einsetzbar ist und eine gute Brücke zwischen der inneren Welt des Klienten und der Realität darstellt. Der körperlich spürbare Gewichtsaspekt freut natürlich den Gestalttherapeuten in mir. Ich würde mich freuen, wenn mein Impuls aufgegriffen wird und hoffe auf viele anregende Fachdiskussionen.

Klaus-Ingbert Wagner

Gestalttherapeut, syst. Familientherapeut, Lehrtherapeut Systemaufstellungen (DGfS), www.zukunftswerkstatt-amberg.de

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